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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 16.07.2012


Beobachtungen zum Internationalen Frauentag 2012
Charlotte Binder

Der kulturwissenschaftliche Vergleich des Internationalen Frauentags in Berlin 2012 und Istanbul 2013 ist Untersuchungsgegenstand des Promotionsprojektes unserer Gastautorin Charlotte Binder.




Im Rahmen einer kulturwissenschaftlichen Dissertation vergleiche ich die Aktivitäten und die Debatten zum Internationalen Frauentag in Berlin 2012 und Istanbul 2013 und untersuche damit, welche Bedeutungen dieser Jahrestag für feministische Politiken in Deutschland und der Türkei heute einnimmt.

Dieser Artikel stellt einen ersten Zwischenstand meines Forschungsprojektes dar und beschreibt wie der Internationale Frauentag ein Jahr nach seinem 100-jährigen Jubiläum im März 2012 in Berlin begangen wurde. Gezeigt wird, welche Institutionen, Organisationen, Initiativen sowie Akteurinnen und Akteure Veranstaltungen durchführten und welche Themen, Forderungen und Debatten anlässlich des Weltfrauentags 2012 in Deutschland - auch medial - verhandelt wurden.

Geschichtlicher Abriss zum Internationalen Frauentag
Der Internationale Frauentag wurde durch die Einrichtung des "Tages der Vereinten Nationen für die Rechte der Frau und den Weltfrieden" im Dezember 1977 auf internationaler Ebene offiziell anerkannt. Der seitdem am 8. März begangene Jahrestag wurde jedoch bereits vor dem Ersten Weltkrieg im Kampf für die Gleichberechtigung und das Frauenstimmrecht von der sozialistischen und der proletarischen Frauenbewegung als Kampftag eingeführt.
Am 19. März 1911 wurde er das erste Mal in Dänemark, Deutschland, Österreich-Ungarn, Bulgarien und der Schweiz mit rund einer Millionen Teilnehmerinnen vor allem aus der Sozialdemokratie und den Gewerkschaften gefeiert. In Berlin nahmen damals 45 000 Frauen an 40 Veranstaltungen teil. Der Historikerin Gisela Notz zufolge war der Internationale Frauentag 1911 "eine der seltenen öffentlich gezeigten Übereinstimmungen von bürgerlichen und sozialistischen Frauen." In dem folgenden Jahrhundert etablierte sich der Weltfrauentag, teilweise auch in Form eines gesetzlichen Feiertags, weltweit.
Während der Internationale Frauentag nach dem 2. Weltkrieg in der BRD - bedingt durch den Kalten Krieg - zunächst in Vergessenheit geriet, entwickelte er sich in der DDR über die Jahrzehnte hinweg zu einer Art ´sozialistischem Muttertag´. An diesem Tag wurden Frauen für ihre Leistungen im Beruf und Privatleben geehrt und erhielten als Zeichen der Anerkennung Blumen geschenkt.
Anlässlich des sogenannten FrauenStreikTags 1994, zu dem der Unabhängige Frauenverband aufgerufen hatte, wurde der Internationale Frauentag schließlich wieder auch im wiedervereinigten Deutschland populärer.

Mediale Berichterstattung rund um den Internationalen Frauentag im März 2012
Alle großen überregionalen Zeitungen wie auch die Berliner Zeitungen nahmen den Internationalen Frauentag 2012 zum Anlass, um über so genannte Frauenthemen zu berichten. Neben der immer wieder auftretenden Diskussion, ob der Frauentag noch zeitgemäß bzw. notwendig sei, lag der Schwerpunkt der medialen Berichterstattung auf der kontrovers geführten Debatte um die Einführung von Frauenquoten für Führungspositionen in Wirtschaft und Politik, sowie auf der Forderung nach Entgeltgleichheit zwischen Frauen und Männern. Im Zusammenhang mit dem Equal Pay Day, zu dem am 23. März bundesweit Veranstaltungen zum Thema Lohnfindung organisiert wurden, wurde die Diskussion zum Thema Lohngerechtigkeit sowie Vereinbarkeit von Familie und Beruf in den Medien fortgesetzt.
Die am 8. März 2012 stattfindenden Parlamentsdebatten im Deutschen Bundestag sowie im Berliner Abgeordnetenhaus waren ebenfalls Teil der medialen Berichterstattung. Dabei wurde jedoch weniger über die konkreten Inhalte der Parlamentsdebatten als über die medienwirksame Aktion der Partei DIE LINKE berichtet. Die männlichen Parlamentarier der LINKE-Bundestagsfraktion absolvierten, anstatt an der Parlamentssitzung teilzunehmen, ein Tagespraktikum in sogenannten Frauenberufen, um auf geschlechterspezifische Berufswahl sowie auf Entgeltungleichheit hinzuweisen.
Auch der Beschluss der BILD-Zeitungsredaktion, das Nacktfoto des ´Seite 1-Girls´ von der Titelseite in den hinteren Teil des Boulevardblattes zu verbannen, erzeugte mediale Aufmerksamkeit.
In den Berliner Zeitungen wurde insbesondere auch der Stand der Gleichstellung zwischen Männern und Frauen in Berlin erörtert sowie erfolgreiche Berliner Frauen portraitiert. Über die Preisverleihung des Berliner Frauenpreises an Sharon Adler, der Gründerin des Frauen-Onlinemagazins AVIVA-Berlin, wurde ebenfalls berichtet.

Veranstaltungen im ´Frauenmärz 2012´
Im März 2012 wurden in Berlin mehr als 200 Veranstaltungen zum Thema Frauen und/oder Geschlechterverhältnisse organisiert. Ein Schwerpunkt mit direktem Bezug zum Internationalen Frauentag bildete der 8. März mit über 50 Veranstaltungen, die von unterschiedlichen Organisationen durchgeführt wurden.
Statt mich nur auf den 8. März zu konzentrieren, nehme ich in meinem Forschungsprojekt jedoch den gesamten März in den Blick. Dies begründet sich historisch, da der Internationale Frauentag seit Beginn an terminlich nicht auf den 8. März festgelegt war, sondern von den unterschiedlichen Organisationen meist im Zeitraum zwischen Februar und Mai gefeiert wurde. Der Begriff ´Frauenmärz´ wurde in den 1980er Jahren das erste Mal im Bezirk Tempelhof für eine Veranstaltungsreihe zum Thema Frauenemanzipation verwendet.

Meine Beobachtungen ergaben, dass feministische Forderungen heute nicht nur in Frauenprojekten, sondern insbesondere auch in den Bezirks- und Senatsverwaltungen, Gewerkschaften, Parteien und politischen Stiftungen formuliert werden.
Jedoch haben sich auch einige linksautonome und aktivistische Gruppen anlässlich des Internationalen Frauentags in vier relativ unabhängig voneinander arbeitende Bündnisse zusammengeschlossen, um ihre Aktivitäten jeweils zu koordinieren und Veranstaltungen zu bündeln. So konzipierten die ´frauenlesbentrans-vollversammlung´ sowie das ´8. März-Bündnis´ jeweils eigene Veranstaltungsreihen zum Weltfrauentag. Die Stadtfrauenkonferenz Berlin hielt am 8. März eine aktivistische Kundgebung auf dem Alexanderplatz ab und die ´8. März AG´ der Interventionistischen Linken Berlins veranstaltete eine Mitmachkundgebung einen Tag später in Kreuzberg.
Die Untersuchung zeigt also auch, dass feministische Politiken im Rahmen des Weltfrauentags nicht nur - wie vielfach vermutet - innerhalb von Institutionen stattfinden, sondern zu Beginn des 21. Jahrhunderts in Deutschland auch noch autonom organisiert und auf der Straße artikuliert werden. Auch jüngere Frauen, die sich in Berlin häufig in queer-feministischen Szenen organisieren, nehmen den Frauentag zum Anlass, um geschlechterpolitische Forderungen zu erheben. Beispielhaft kann hier die feministisch orientierte alpha nova kulturwerkstatt & galerie futura genannt werden, die ihre neuen Galerieräume mit der Ausstellung "Von Rosen, Nelken, Netzen. Künstlerische Statements zum Weltfrauentag" im März eröffnete.

Die Themen der Veranstaltungen des diesjährigen Internationalen Frauentags lassen sich grob unter den Kategorien Feminismus, Frauen- und Geschlechterpolitik, Arbeit und Beruf, Kapitalismuskritik, Medien, Gewalt gegen Frauen und Mädchen, Internationalität und Frieden bündeln, wobei die einzelnen Themenbereiche auch Überschneidungen aufweisen.
So vielfältig wie die Themenschwerpunkte waren auch die Typen von Veranstaltungen. Dominierend waren Lesungen, Vorträge, Projektvorstellungen und Diskussionen. Eintägige Seminare, Tagungen, Informationsbörsen und Fortbildungen bildeten einen weiteren Schwerpunkt. Daneben wurden Ausstellungen, Kabarett, Theater, Konzerte, Filme oder Feste organisiert.

Das Publikum, das diese Veranstaltungen besuchte, ist ebenso nicht so einfach zu kategorisieren. Es lässt sich dennoch festhalten, dass Frauen eindeutig in der Mehrheit waren. Männer wurden jedoch nur bei sehr wenigen Veranstaltungen explizit ausgeschlossen. Insbesondere die Preisverleihungen an verdiente Frauen und soziale Projekte, die von der Heinrich-Böll-Stiftung, von der Partei DIE LINKE sowie traditionell vom Berliner Senat organisiert wurden, waren sehr gut besucht.

Die vielfältigen Aktivitäten und Debatten rund um den Frauentag 2012 können meiner Meinung nach als ein Ausdruck der komplexen frauen- und geschlechterpolitischen Positionen in Berlin gelesen werden. Berlin verfügt über beeindruckend vielschichtige frauen- und geschlechterpolitische Szenen, die Raum für unterschiedliche Einstellungen der Akteurinnen und Akteure geben.
Meine Beobachtungen zeigen auch, dass die Konzepte von Feminismus, Frauenbewegung(en) und Geschlecht, die den einzelnen Veranstaltungen zu Grunde liegen, stark voneinander abweichen. Dies könnte eine weitere Erklärung dafür sein, warum es den Akteurinnen und Akteuren in Berlin 2012 nicht gelang eine gemeinsame Veranstaltung zu organisieren, um feministische Forderungen und Ziele - auch medial - sichtbarer und lautstarker zu artikulieren.
Dies ist ernüchternd angesichts der vielfachen Bemühungen um Bündnispolitiken sowie vergleichbarer Forderungen, wie z.B. der Forderung nach Lohngerechtigkeit zwischen Männern und Frauen oder der gemeinsam geteilten Kritik an der Familien- und Frauenpolitik von Kristina Schröder. Obwohl in Berlin also auf unterschiedlichen Ebenen feministische Politiken stattfinden, gelingt die Vernetzung von unterschiedlichen Organisationen, Netzwerken, Initiativen und Einzelpersonen anlässlich des Internationalen Frauentags nur partiell.

Weder am Internationalen Frauentag noch wenn es um konkrete Themen wie Entgeltgleichheit geht, gelingt es also kollektiv, d.h. generationen-, ideologie- und szeneübergreifend, gemeinsame Ziele zu verfolgen. Bisher scheinen in Berlin noch keine wirksamen Strategien entwickelt worden zu sein, um mit der Vielfalt von feministischen Politiken in dieser Stadt produktiv umzugehen. Die Frage, wie - bei gleichzeitiger Anerkennung von Differenzen - heute gemeinsame feministische Ziele zu artikulieren und durchzusetzen sind, bleibt im Rahmen Internationaler Frauentag noch weitgehend unbeantwortet.

Ausblick: Internationaler Frauentag 2013 in Istanbul
Meine Beobachtungen zeigen also, dass die Stärkung von Frauenbewegungen und Frauen- und Geschlechterpolitik sowie die bessere Vernetzung feministischer Politiken anlässlich des ´Frauenmärz 2012´ in Berlin nur teilweise gelang. Ob die Akteurinnen und Akteure in Istanbul größeren Erfolg bei der Vernetzung feministischer Politiken im Rahmen des Internationalen Frauentages haben werden, werde ich im März 2013 während meines Forschungsaufenthaltes in der Türkei untersuchen.

Informationen zur Autorin
Charlotte Binder
ist Gastautorin von AVIVA Berlin. Seit Juni 2011 promoviert sie an der Universität Bremen zum Thema Feministische Politiken in Deutschland und der Türkei.

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Beitrag vom 16.07.2012

AVIVA-Redaktion